Zugegeben: Das Internet war nie dafür berühmt, ein Ort für seriöse Inhalte und Interaktionen zu sein. Waren es vor einigen Jahren aber noch unschuldige Katzen, die als crazy galten, polarisieren heute Trends und Gestalten, die teilweise echt harter Tobak sind und viele Fragezeichen hinterlassen. Zum Beispiel gibt es da diesen sich selbst gekrönten König Thomas, stets in gebatikten T-Shirts, – einigen vielleicht bekannt als Sex-Hotline-Veteran oder Kanal Telemedial-Mogul Thomas Hornauer – der in seinen Streams eine immergleiche Melodie auf seinem Synthesizer dudelt, dabei herumsingt und Jugendliche für sich tanzen lässt [sic]. Am liebsten barfuß. Und als wäre das nicht genug, erbittet er von seinen Zuschauern dafür auch noch einen „Energieausgleich“ (ein Euphemismus für Spenden). Ich lande aus Versehen in seinem Live-Stream, schaue ungläubig ein paar Minuten zu … und weiß einfach nicht mehr weiter.
Was da geschieht, ist absurd.
Denn selbst wenn die jungen Leute sich über diesen alten Mann und seinen „TAM-Dance“ auch lustig machen, machen sie doch vor allem etwas anderes: mit. Vielleicht verkörpert King Thomas halt das, was unsere Gesellschaft seit einiger Zeit fühlt: Verwirrung. Zuhause ist er vor allem auf der chinesischen Video-Plattform TikTok. Hier veröffentlichen, zwischen Leuten wie ihm und den letzten überlebenden Internet-Katzen, aber auch starke Content Creator, die Spaß bringen. Diese sind dann hallt lustig, informativ oder auf politischer Mission. Gibt nichts, dass es nicht gibt. Und natürlich begegnet man hier und dort auch einem Unternehmens-Account; auch ein Thema für sich.
Oft bleibt da das Gefühl zurück, es ginge um Reichweite zu jedem Preis.
Oft bleibt da das Gefühl zurück, es ginge um Reichweite zu jedem Preis. Okay, ja. Aber wozu, wenn sie nicht genutzt wird? Von den schon wenigen Unternehmen, die TikTok verstanden haben, haben wiederum leider nur wenige ein Gefühl für Werbewirkung. Wenn Videos viral gehen, weil sie lustig sind, jedoch kaum bis nichts mehr mit Marke oder Produkt zu tun haben, verleiht mir das den Eindruck, als habe der Social Media Manager einen neuen Spielplatz entdeckt und nicht etwa einen tollen Job erledigt. Hier ist das Kind allerdings nicht in den Brunnen gefallen, sondern eigentlich sogar in einer gut-spielbaren Position. Denn ist Reichweite erst vorhanden, wie auch immer erreicht, kann diese nun auch für Inhalte genutzt werden, die dem Erfolg des Unternehmens dann doch endlich zuträglich sein können. Dem gegenüber stehen Unternehmen, die verkennen, dass bei TikTok ausschließlich unterhaltsamer Content Views erntet (Paid-Media selbstverständlich ausgeschlossen).
Der Algorithmus ist radikal und ehrlich. Daher ist TikTok auch ein großartiger Raum, um zu prüfen (wer sich traut!), wie gut klassische Werbespots ankommen. Aktiviert ein Video kaum Interaktionen, wird es nicht mehr vorgeschlagen. Dann sinkt es in den tiefen Abgrund der ungesehenen Kanal-Nieten und wird wahrscheinlich für immer vergessen. Und vermutlich wäre hier die Bilanz für klassische Spots eben einfach zum Haare raufen. Tja. Einfach nur das Produkt zu zeigen, oder anders: das zu zeigen, was man zeigen möchte, reicht nicht. Unterhält ein Video nicht, wird es nicht geschaut. Und dann hätte man es sich sparen können. Punkt. Werber müssen hier zum Verwebern werden: Produkt bzw. Marke und Unterhaltungsfaktor zusammenbringen. Manchmal darf vielleicht sogar gelten: Erst das Vergnügen, dann die Arbeit (Produkt). Am Ende kommt es aber auf beides an. Zu guter Letzt gibt es noch eine weitere Art der Unternehmens-Account-Nutzung, die ich anprangern möchten: Die, die sich einfach nur lächerlich machen. Sich, ihre Dienstleistung und ihr Produkt. Und damit jeden einzelnen Kunden. Holt euch Hilfe oder lasst es einfach alles sein. Ich käme fast auf die Idee, zu schlussfolgern, TikTok wäre eine der anspruchsvollsten Marketing-Disziplinen. Vermutlich ist sie jedoch einfach eine der messbarsten …