Am 11.02.2024 ist es so weit: Die Explosion der gigantischen Marketing-Rakete „Super Bowl LVIII“. Gezündet wurde sie schon vor einiger Zeit, seit Wochen versprüht sie ihre Funken rund um den Globus und entfacht ungeniert den alljährigen American Football-Hype, von dem, mal wieder, auch Deutschland nicht verschont bleibt. Das Feuerwerk selbst, also das Endspiel der NFL, findet dieses Mal in Las Vegas statt – wahrscheinlich wieder vor etwa 800.000.000 Zuschauern weltweit. Wie kann ein nationales Event international so rumlärmen?
Weil wir es so gelernt haben: Netflix, Chicken Wings, David Hasselhoff, … – das Importprodukt „Amerikanische Kulturdekadenz“ ist seit jeher ein absoluter Topseller. Und so ist halt auch American Football bereits vor Jahren über den großen Teich nach Europa geschwappt und findet seitdem zunehmend in Deutschland statt. Aber: eben noch lange nicht in der Größenordnung, die auch nur ansatzweise der des sternenbesetzten Marketingmonsters entsprechend dürfte, das hier aktuell wieder sein Unwesen treibt.
Das größte Sport-Event der Welt: Wen interessiert es?
Die Rechte für die Begeisterung an American Football liegen nämlich nicht exklusiv bei Teenager-Jungs – nein, auch Marketeers, darauf spezialisiert, beliebige Anlässe für Special-Editions und Sonderveröffentlichungen zu adoptieren, machen hier große Augen. Kritischer Unterton? Amen, nein. Ich wollte nur kurz für mein Gewissen ordnen, dass ich hier nicht aus Versehen zum ketzerischen Banausen neuer deutscher Leitkultur werde (#FOMO). Ich verpasse höchstens einen übersteuerten Werbegipfel, ein „wichtiges“ Football-Spiel und eine tolle Chance, meinen Schlafrhythmus zu deformieren. Nennt mich altmodisch, aber ich nutze die Zeit zwischen Sonntag und Montag einfach auch gerne, um mal ein bisschen zu Schlafen.
Wer tut sich das freiwillig an?
Womit wir direkt bei meinem nächsten Punkt angelangt wären: Wie irre sind die Zuschauer bitte? Der Hokuspokus, übrigens: größtes Sportereignis der Welt (gemessen an Zuschauerzahlen), findet – jedenfalls für uns Mitteleuropäer – mitten in der Nacht statt. Anpfiff ist um 00:30 Uhr unserer Zeit, und so ein Football-Game dauert gerne drei Stunden. Wer tut sich das an?
- Leute, die Football wirklich mögen und ihre Nacht gerne dafür opfern
- Leute, die gelernt haben (wo?), dass es cool ist, Football zu mögen
- Leute, überzeugend indifferent, die eben nichts Besseres vorhaben
- Leute, die überredet wurden und schlecht gelaunt am Handy hängen
Alle Gruppen zusammengerechnet, ergibt sich daraus, dass tatsächlich gar nicht so wenig Menschen in Deutschland den Super Bowl live verfolgen dürften. Bei Nacht, Nebel und Bier. Wer war zuerst da? Henne oder Ei? Marketingmonster oder die Football-Muse? Zur Einordnung: In Deutschland zählen Football-Vereine etwa 60.000 Mitglieder. Tennis-Vereine kommen auf ca. 1.500.000 (Faktor = 25). Wo, verdammt, sind die ganzen Werbe-Deals für Boris hin?
Tennis, elitär angehaucht, lässt sich nun mal nicht so brutal ausschlachten wie ein Event der Superlative, das selbst im Land der unbegrenzten Möglichkeiten noch protzig wirkt. Also selbst dann, wenn sich hierzulande kaum jemand ernsthaft für den Super Bowl interessiert, können wir doch trotzdem so tun, als ob? Denn: Was für eine gewaltige Marketing-Opportunität: Konsum und Kalorien in XXXL abfüllen und als US-patriotischen Sportsgeist deklarieren. Und seien wir ehrlich: Wenn der Discounter um die Ecke einmal im Jahr 1-Kilo-Säcke Erdnussflips verkauft, dann trifft das bei der einen oder anderen Ute einen Nerv, egal, unter welchem Motto ihre Verführung vorher ins Regal gedonnert wurde.
Ein heimliches Kreativ-Festival?
Selbst ich kann dem Super Bowl aber auch etwas abgewinnen: Gerade für Werbemenschen ist dabei nämlich nicht nur der eigene Absatz interessant; das Sport-Event kann beinahe schon als Kreativ-Festival durchgehen und entzückt damit auch auf unsportlicher Ebene. Quasi. Besonderer Fokus liegt dabei auf der Halbzeitpause, in der ein 30-Sec-Spots rund 7.000.000 Dollar kostet. Wer so viel Geld in eine einzige Ausstrahlung drückt, überlegt hoffentlich sorgsam, mit welcher Idee er diese halbe Minute füllt. Auch wenn nicht alle hier gezeigten TVCs hohe Marketingkunst darstellen, sind die allermeisten doch zumindest sehr unterhaltsam. Dem ist auch geschuldet, dass Super Bowl Spots von sich aus schon lange Kultstatus genießen und sogar für viele nicht-werbliche Football-Fans zum Super Bowl fest dazugehören. Geil für Werbetreibende. Bedenken wir, dass hier mehrheitlich Branding- und Produkt-Spots international-agierender Marken präsentiert werden, errechnet sich daraus tatsächlich sogar ein recht fairer TKP.
Eine Frage der Perspektive.
Schlussendlich bleibt die NFL halt die Nationalliga eines anderen Landes: USA. Dort ist Football kulturell relevant, allgegenwärtig und der Super Bowl etwa das, was für uns ein WM-Finale sein dürfte, in dem Deutschland spielt. Für mich fühlt sich der hiesige Hype (noch?) wie ein kalorienhaltiger Fremdkörper an. Wenn aber jemand hier echte Freude aus dem Event zieht, ist das doch schön: Läuft Sonntagnacht um 00:30 Uhr auf RTL und DAZN. Dann hab doch bitte eine packende Nacht inklusive pervers-geilem Fastfood und trink einen für mich mit. Nur auf die XXL-tüte Erdnussflips musst du vielleicht verzichten. Ich habe die letzte gekauft.